Auf der suche nach dem Ursprüngen des Ledergalanterie-Waren erzeugenden Gewerbes und wie der gute Ruf der <Wiener Lederware> entstand.

©arpad meszaros

Ledergalanterieware hat einen etwas altertümlichen Klang, wenn diese Bezeichnung überhaupt noch geläufig ist. Doch ist es wichtig zwischen Ledergalanterieware und Lederware zu unterscheiden.

In einem Artikel in der Zeitschrift <Einigkeit> vom März 1909 wird, diese Entwicklung aus zeitgenössischer Sicht dargestellt:

„Der Unterschied in der Erzeugung von einst und heute ist ein so gewaltiger, daß alles, was vor Jahrzehnten angestaunt und bewundert wurde, hundertfältig überboten wurde und fortwährend noch überboten wird.“

„Diese Lederwaren wurde damals nur von den Buchbindern erzeugt, aus welcher Branche sich erst allmählich die Ledergalanteriebranche entwickelte und separierte.“

„Wenn wir die Unterschiede der Erzeugnisse unsere Branche, von damals und heute betrachten, können wir einen gewaltigen Umschwung vom Einfachen zum Komplizierten, vom Ordinären zum Feinen verzeichnen.“

„Wie haben die Lederwarenartikel der Buchbinder damals ausgesehen! Es waren einfache, primitive Visites und Brieftaschen, zumeist steif gearbeitet mit Goldlinien Verzierungen, mit Messingplatteln und häufig verschönert durch Stickereien, besonders aber Perlenstickereien, wie überhaupt Stickereien einen ersten Platz an allen diesen Erzeugnissen einnahmen. Unter den Geldbörsen dominierte der in einem Bügel befestigte Beutel, heute noch als <Krowotenbeutel> bekannt und das an die Geldkatze des Mittelalters erinnernde sackähnliche, zumeist gestickte, an der Seite mit einer Schlitzöffnung versehene und mit Schubringen schließende Geldsäckchen. Die Händearbeit der Frauen tat damals überhaupt viel, um diese Ware nach damaligem Geschmack zu verschönern, indem sie nebst der Perlenstickereien auch durch Seidenstickereien alle möglichen Verzierungen, Blumen, Monogramme usw., wo es nur anging, applizierte. Ebenso waren die Handtaschen der damaligen Frauen ausgestattet, das heißt, der Stoff und nicht das Leder standen damals noch an erster Stelle.“

„Anders stand es mit den Bedürfnissen dieser Artikel von Seite der Männer; hier herrschte das Leder vor und gab somit den Anlaß zu einer immer größeren Ausgestaltung dieser Erzeugnisse. Wenige unserer heutigen Kollegen werden sich noch an die Art dieser Erzeugnisse, die unsere Großväter benützten, erinnern können und nur hie und da wird dem einen oder anderen ein Stück zu Augen gekommen sein, das sich in der Sammlung verschiedener Andenken an längst Verstorbene noch im Besitze einer Familie befindet. Da waren es dickbauchige, hart wie Eisen kaschierte Zigarrentaschen, deren sich unsere Vorfahren bedienten, und umfangreiche Brieftaschen, die trotz ihrer Einfachheit aber bereits sehr praktisch zusammengestellt waren; natürlich fehlte es auch hier nicht an der Überladenheit durch Beschläge, Stickereien und Vergoldungen. Die ersten Zigarrentaschen weisen als Kuriosität auf, daß sie nicht eingesteckt, genietet oder aufgeleimt waren, sondern daß sie mit der Hand an den Rahmen genäht wurden. Erst später kam die sogenannte eingesteckte und die aufgeleimte Eisenarbeit, von welchen die letztere die anderen Arten beinahe ganz verdrängte. Die hartkaschierte Rahmenware wieder wurde verdrängt durch die nach dem Unternehmer P o m p e benannte <pompierte> Ware, welche bereits weicher hergestellt wurde, d. h. das Außenleder wurde nur mehr mit einem oder einigen Löschpapierblättern aufgezogen, während zwischen Futter und Außenleder Watte eingelegt wurde. Heute kennt man überhaupt nur mehr Außenleder und Futter mit einer ganz dünnen Schicht Watte; von welch letzterer man vielfach aber auch schon ganz absieht.“

„Der Ursprung unserer Industrie scheint aber aus der sogenannten Wechseltasche hervorgegangen zu sein. Wenn man auch der Meinung hinneigen muß, daß das Bedürfnis, das sogenannte harte Geld, die Münze, irgendwie unterzubringen, zur Begründung unserer Industrie, der Lederwarenerzeugung, beitragen half, so waren es doch diese Riesentaschen, die den Weg und die Form zeigten. Diese sogenannten Wechseltaschen mit ihren, einer Harmonika gleichenden, gebrochenen Falten in deutsch und englisch, außen mit vielem Blinddruck versehen, wurden auch von uns aus der Buchbinderei entnommen, bleiben aber in der Herstellung dennoch der Buchbinderei vorbehalten, so daß es heute vielleicht keine Lederwarenfirma mehr gibt, die Wechseltaschen erzeugt. Aus ihr aber muß alles hervorgegangen sein; die Mappe, die in ihrer Form noch an die Wechseltasche erinnert, das Visites, die Brieftasche mit ihren vielen Faltenfächern – man denke dabei zugleich an die Kellnertasche, die eine Wechseltasche im kleinen vorstellt – das Faltenportemonnaie, das man damals in eine Form hineinnähte, um sodann in einer Metallform endgültig untergebracht zu werden, die kaschierte Zigarrentasche mit aufspringendem Deckel, der dann die Schubzigarrentasche folgte usw.“

„Was die Lederwarenindustrie sonst noch hervorbringt, braucht nicht erst aufgezählt werden, wohl aber der Unterschied in der Form, in der Ausführung von einst und jetzt. Bei jedem einzelnen Gegenstand sucht man eine Feinheit und Eleganz hervorzubringen, die ans zauberhafte grenzt. Mit Geschmack muß aber zugleich das Praktische verbunden sein und wir müssen sagen, daß man auf diesem Gebiete vorzügliches leistet. Schöne Ware, die nicht gebrauchsfähig ist, hätte eben keinen Wert. In letzter Zeit verwendet man wieder viel Mühe an der Ausschmückung unserer Ware mittelst Beschlägen, wodurch die Biegsamkeit der einzelnen Teile, wie Läppchen und Klappe, nichts einbüßen soll.

Durch ein aneinanderfügen kleiner Beschläge in schönen Formen wird allen Anforderungen in dieser Richtung entgegengekommen.“

Der Verfasser vermerkt noch zum Schluss:

„Unbegreiflich erscheint uns nur, wie derartige Ware, die selbst mit Beschlägen aus Gold über und über beladen ist, ihre Käufer finden kann.“

Diese obig beschriebene feinste Ledergalanterieware, die zu dieser Zeit nur in Wien erzeugt und fand auch dort ihre Käufer. Gerade diese qualitativ hochwertige Ware ist die eigentliche <Wiener Lederware>, bestes Material und sorgfältige Verarbeitung sind ihre Merkmale.

Es ist wohl bekannt dass in Wien um 1900 sehr viele zu begüterten Schichten gehörender Personengruppen lebten. Neben den Vertretern des alten Feudal- und Hochadels gehörte das zum Teil bereits in den Adelsstand erhobene Großbürgertum ebenso dazu wie Vertreter der Hochfinanz und Industrielle, die politisch einflussreiche hohe Ministerialbürokratie,die Angehörigen freier Berufe und die leitenden Direktoren großer Unternehmen.

Gerade diese Schicht legte großen Wert auf das Besondere in der Lebensweise und persönlichen Dingen. Sie konnte es auch finanziell leisten, diese Luxusartikel zu kaufen.

Wogegen die Arbeiter in den Werkstätten, die diese schönen Sachen herstellten, bei weiten nicht in der Lage waren solche Dinge zu kaufen.

Knapp vor der Jahrhundertwende, 1895 berichtet die <EINIGKEIT> aber auch von einer ungemein große Nachfrage nach Arbeitskräften, und zwar nach tüchtigen, leistungsfähigen Fachkräften.

„Anderseits haben auch die „bösesten Buden“ in Hülle und Fülle zu tun, jedoch sinken immer mehr die Arbeitslöhne.“

Bei der Untersuchung dieses Phänomens werden viele Missstände, aufgezählt;

„Das Lehrlingsunwesen.“

In vielen Werkstätten wird der Lehrling zu Hausknechtarbeiten verwendet und keine Gelegenheit hat, in den drei oder vier Jahren seiner Lehrzeit, seinen Beruf, richtig zu erlernen.

„Seit den letzten Jahren her sind jene Werkstätten, wo der Lehrling während seiner Lehrzeit wirklich etwas lernte, immer weniger geworden.“

„Außerhausarbeiter.

„Die Firmen Glück & Eckstein, Oberleitner, Kohn, Nadler, Coischan, Novotny u. A. beschäftigen durchwegs Außerhausarbeiter. Nehmen wir jetzt ein Beispiel:

Ein Ausserhausarbeiter verdient wöchentlich 15 fl. (Gulden) Mit ihm arbeitet sein Weib und ein Kind, ein Schulknabe mit 13 Jahren. Er arbeitet täglich 14 Stunden, die Frau, da sie auch Häusliches zu thun hat,

8 Stunden und der Knabe, der auch in die Schule muss, 4 Stunden, machen zusammen 26 Stunden. Bei einem Verdienste nun von 15 fl. wöchentlich kommt auf den Tag 2 fl. 50 kr. (Kreutzer) davon hat er noch die Ausgaben für Licht, Leim, Kleister etc, zu bestreiten. Rechnen wir jetzt weiter, so kommt auf einen Arbeiter, der nur 10 Stunden täglich arbeitet, dementsprechend ein Betrag von 9,5 kr. pro Stunde oder 95 kr. pro Tag.“

„Die Arbeitszeit.“

Obwohl die zu der Zeit übliche zehn stunden Tag, schon als eine Errungenschaft des Vereins angesehen wird, werden die „Collegen Lederarbeiter“ aufgerufen sich zu organisieren, um weitere Arbeitszeit-Verkürzungen zu erreichen.

„Stückarbeit.“

Heute würde man Akkordarbeit dazu sagen.

„Konkurrenz aus Pest.

In Pest beginnt jetzt die Periode des Entstehens der Lederwaren-Erzeugung. Bis jetzt beinahe unbekannt, haben sich einige Leute, die in Wien gearbeitet, gefunden, welche dortselbst das Gewerbe einführen; und da noch dazu nächstes Jahr die Millenniums-Ausstellung stattfindet, so ist auch in Pest in Hülle und Fülle zu thun.“

Man fürchtet dass in Ungarn „zufriedenere“ Arbeitskräfte zu finden sein, als in Wien.

Die Lage der Arbeiter veranschaulicht, ein Artikel

aus der Zeitschrift <Einigkeit> Dez. 1897:

„ Wir wollen uns vorerst zurückversetzen in die sogenannte Glanzperiode der Ledergalanteriewaren-Fabrikation, in der Zeit des Aufschwunges, Ende der Fünfziger- und Anfangs der Sechziger-Jahre.“

„Ja damals, werden unsere älteren Collegen ausrufen, ja da war es eine Freude, ein Lederarbeiter zu sein! – Damals, wo Firmen existirten wie: August Klein sen., Hofmann, Brade, Neuber und Breiter, Urban u. s. w., die grösstentheils ihre Arbeiter im Wochenlohn beschäftigten und durchschnittliche Verdienste, freilich bei zwölfstündiger Arbeitszeit, von 12 bis 16 fl. (Gulden) an der Tagesordnung waren und kein so ausgebreitetes Antreibersystem herrschte wie heute. Auch häufig wurden Löhne bezahlt über 16 fl. bis etliche 20 fl., durchaus jedoch nicht Löhne, wie sie heute in den ersten Etablissements mitunter zu treffen sind, nämlich unter 10 fl., die noch dazu hin und wieder durch Stückarbeit aufgebracht werden müssen.“

„Nehmen wir einen anderen Vergleich: Zu dieser Zeit kostete ein Quartier von Zimmer, Küche und Cabinet 38, höchstens 45 fl. und zwar in den alten Bezirken. Die heute bestehenden Wohnungspreise in den früheren Vororten variiren bei Zimmer, Küche und Cabinet

zwischen 45, 50 fl. und auch darüber. Rindfleisch bessere Qualität das Pfund (56.6 Deka) 30 bis 32 kr., (Kreutzer) heute kostet dasselbe der halbe Kilo (50 Deka) 38 bis 40 kr. Alles wird theuerer, nur die Löhne sinken.“

„Dass die Existenz von Firmen, die halbwegs anständige Löhne zahlen und Wochenarbeit eingeführt haben, möglich ist, beweist der längere Bestand von diesen, z. B. Buchwald, Kassar, Limbach, Kurfürst, Nick, Saxlehrer, Schweretz und Czarda, Dombacher, Förster, Melzer u. s. w.“

Neben der schlechten Bezahlung, berichtet die <Einigkeit> schon in April 1898 von einer zu hohen Anzahl von Lehrlingen, deren Ausbildung aber zu wünschen übrig ließ.

„Wir können die Beobachtung machen, dass das System, durch Aufdingen von Lehrlingen nur blosse Hilfsarbeiter zu erlangen, verfolgt wird von den grössten Firmeninhabern – mögen dieselben auch mit dem

k. k. Hoflieferanten- oder kais. Rathstitel geschmückt sein – bis zu dem simplen Ausserhaus-Meister hinunter. Grösstentheils ist eine einseitige Ausbildung vorherrschend, darauf berechnet, dem Lehrlinge eine Fertigkeit nur in einer gewissen Gattung unserer üblichen Erzeugnisse beizubringen, um so bald wie möglich aus diesem recht viel Capital herausschlagen zu können.“

„Der Meister betrachtet seine Lehrlinge nur als blosse Hilfsarbeiter oder Handlanger zur Erreichung seiner Zwecke.“

„Ein wichtiger Punkt ist und bleibt es unbedingt, dass von unseren Meistern viel zu wenig auf Intelligenz des aufzunehmenden Lehrlings Rücksicht genommen wird. Je niedriger der Bildungsgrad der Menschen ist, desto unterwürfiger sind sie und eine desto billigere Arbeitskraft geben sie später ab. <Wissen macht frei.> “

Die Brancheninternen Berichte der Zeitzeugen sind ein Beweis, dass schon um das Jahr 1900 viele Probleme zu bewältigen waren.

Doch der Ruf, das Image, der <Wiener Ledergalanterieware> ist noch immer ungebrochen.

Wanderarbeiter 1909 (Ein Lagebericht aus Wien <Einigkeit> Mai 1909)

Wenn unsere alten Kollegen noch erzählen, daß regelmäßig eine stattliche Zahl von deutschen Kollegen nach Wien kamen und hier ihr Fortkommen fanden, so ward diese Erscheinung durch die fortschreitende Entwicklung der deutschen Portefeuillerindustrie bald eine umgekehrte und es reisten die Wiener Ledergalanteriearbeiter in Massen nach Deutschland. Nun aber liegt der Geschäftsgang seit Jahren hüben wie drüben so darnieder, daß das Abreisen vereinzelter Kollegen nur als letzte Versuche, entsprechend verdienen zu können, angesehen werden müssen.

Gegenwärtig ersehen wir, daß eine Reihe von ausländischen Ledergalanteriearbeitern nach Wien zugereist kommen in der Hoffnung, hier bessere Geschäftsverhältnisse zu finden.

Wenn auch der Geschäftsgang heuer kein so schlechter ist, wie er im Vorjahr gewesen, so doch in Wien unter den Ledergalanteriearbeitern große Arbeitslosigkeit herrscht. Wiener Kollegen kommen nach kurzer Zeit infolge der großen Arbeitslosigkeit anderwärts bald wieder retour und vergrößern somit den Stand der Arbeitslosen.

Unser Gewerbe, welches noch immer dem Unternehmer hinreichend zu verdienen Gelegenheit bietet, und in dem, wie wir sagen können, auch die Arbeiterschaft noch halbwegs anständige Löhne zu erreichen imstande gewesen, nimmt jedoch in letzter Zeit solch eigenartige Formen an.

Das Auftauchen von Gesellschaften, welche die Gründung von Lederwarenfabriken in großem und modernem Stile im Auge haben, zeigt uns deutlich, daß wir über kurz oder lang in jene Produktionsformen gelangen, welche solche fabriksmäßige Betriebe mit ihrer Massenerzeugung und Teilarbeit zur Voraussetzung haben.

Schön langsam entschwindet jene Zeit, in welcher Wien als die Mustermacherin für fast die ganze Lederwarenindustrie gegolten hat und als solche ihre Opfer bringen mußte, wobei natürlich der Wiener Ledergalanteriearbeiter materiell sowie auch physisch am meisten darunter zu leiden hatte.

Das Mustermachen artet dadurch schon zu einer förmlichen Raserei aus und es bedarf der größten Anstrengungen der Arbeiter, um allen und selbst den verwegensten Ideen und Ansprüchen der Unternehmer zu entsprechen. Zu den verschiedensten und übertriebensten Mustern, die auf den Markt geworfen werden, gesellen sich noch die verschiedenartigsten, neuesten Ledergattungen, wo bei dem ersten Beschauen Zweifel auftauchen müssen, ob derartiges Material auch zu einer Ware, die nebstbei auch dauerhaft sein soll, verarbeitet werden kann. Hiebei kommt uns die Erfindung der Schärfmaschine sehr zustatten und sie muß geradezu als Wohltat für den Arbeiter bezeichnet werden, indem ihn diese Maschine von mühseliger, gesundheitsschädlicher Arbeitsverrichtung enthebt.“

In diesem Artikel verwendet der Verfasser zum ersten Mal die Bezeichnung, Gewerkschafter, wenn er meint:

„Würden alle Kollegen den Wert der Organisation verstehen, so wären wir auch imstande, regelnd in den Arbeitsmarkt einzugreifen, könnten wir ein Wort mit dreinreden in das Werden von Saison und Krisen. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir nicht nur als Gewerkschafter unsere Aufgabe zu erfüllen, sondern auch Verpflichtungen haben, die darauf hinausgehen, im politischen Leben denselben Standpunkt einzunehmen, wie als Gewerkschafter.“

Bericht aus der Ledergalanteriebranche (Einigkeit Jänner 1914)

„Nun, da wir das so gefürchtete Jahr 1913 hinter uns haben, können wir auch eine Rückschau auf dessen Wirkungen halten. Der ohnehin schwere Stand einer Galanterie- oder Luxusbranche, wurde durch die katastrophalen Krisen sämtlicher Industrien ein geradezu furchtbarer. Durch die unglückseligen Wirren wurde jede Produktion lahmgelegt.

Bei jedem Beginn derartiger wirtschaftlichen Krisen ist es eine selbstverständliche Sache, daß im Haushalte des Arbeiters dessen Einkommen nur zum Einkaufe des Allernotwendigsten verwendet werden kann. Aber auch in den sogenannten <höheren> Gesellschaftsschichten schwindet die sogenannte <Kauflust> für andere Dinge, besonders aber für Luxus- oder Galanteriegegenstände.

Und selbst bei zunehmender Besserung der Geschäftsverhältnisse sind die Luxus- oder Galanteriegegenstände die letzten Dinge, die wieder angeschafft werden; und mögen sich unsere Erzeugnisse selbst so weit erstrecken, daß sie eigentlich schon wahre Bedarfsartikel sind, so sind sie trotzdem noch immer Gegenstände, ohne welche man sich ganz gut behelfen kann.

Wir wissen, daß viele aus der Arbeiterschaft Gegenstände unserer Branche, wenn auch in der primitivsten Art, selbst herstellen, daß Geldbörsen oder Beutel, Visites und Brieftaschen auf diese weise hervorgezaubert werden; sie können wohl keinen Anspruch auf die Bezeichnung von Ledergalanterieware erheben, erfüllen aber doch ihren Zweck.“

In der August 1914 Ausgabe des Zeitschriftes, „Einigkeit“ lesen wir:

„Kollegen und Kolleginnen! Der gewaltigste Krieg, den jemals die Welt sah, hat begonnen. ..... Ganz Europa steht in Kriegsflammen. ..... Die unerträglich gewordene, vom schändlichsten nationalistischen Fanatismus gezeugte Großmachtsucht Serbiens war die Brandfackel, die ganz Europa in Flammen setzte .....

Von der durch die Kriegsverwicklungen entstandenen Geschäftskrise ist natürlich die Ledergalanteriebranche als eine der ersten getroffen worden. Zahlreiche Betriebseinstellungen mit einem Schlage, wie auf Vereinbarung, können wir verzeichnen und 300 Kollegen mußten als entlassen aus ihren Werkstätten ziehen.

Einige Firmen, besonders C z a d a & C o., versuchten mit einigen Arbeitern weiter zu arbeiten, wurden aber durch das Eingreifen der anderen Unternehmer gezwungen, die gänzliche Einstellung des Betriebes zu vollziehen. Andere Unternehmer wie S c h w e r i t z,

R ö m e r und wieder C z a d a versuchen, sich mit den Außerhausarbeitern zu helfen, um die Lieferungen nach Möglichkeit auszuführen.

Der Verband unserer Unternehmer, der im ganzen 16 Mitglieder zählt und auf dessen Zirkular sofort die Firmen

R ö m e r, C z a d a & C o., S w a n z e r Z e i n d l h o f e r, G ü d e, S c h w e r i t z,

S c h w a r z k o p f, S t e r n s c h e i n, M a s i c e k, Z a n d e r,

W e i ß, R a b l & G r ü n, S a c h s l e h r e h r e r, W o l f i n g e r,

Z o l l s c h a n, H a i d e r, H e b a k, M e r i n s k y, K r e m s e r,

H a i d i n g e r, A t l a s, B l a h a & S t e i n, S i n e k, W a s l,

D u b s k y, S c h u l z & G l a n z, K l e i n E., M e t z g e r,

W a l k e r, W u r z l

ihre Betriebe Samstag mittags sperrten – selbstverständlich aber bei der Auszahlung den halben Samstag in Abzug brachten. Die Herren, die <wirklich unterstützungsbedürftige> Arbeiter helfen wollen, hatten natürlich nichts eiligeres zu tun, als durch diesen Mittagsschluß vom Lohn ihrer Arbeiter etwas zurückzubehalten.

Unterhaltsbeitrag für die Familien der Einberufenen.

Die Familien der aus Anlaß des Krieges Einberufenen haben Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag. Es ist gleichgültig, ob man zum eigentlichen Kriegsdienst oder zum Landsturm einberufen wird.

Der Unterhaltsbeitrag besteht für jeden einzelnen Anspruchsberechtigten: 1. Aus der täglichen Unterhaltsgebühr. 2. Aus dem täglichen Mietzinsbeitrag.

Der gesamte Unterhaltsbeitrag (bestehend aus Unterhaltsgebühr und Mietzinsbeitrag) beträgt somit beispielsweise für jede Person, die wohnhaft ist in Wien K 1, 32 (Kronen, Heller).“

Die Auswirkungen des 1. Weltkrieges in unserem Gewerbe verdeutlicht folgender Artikel (EINIGKEIT August 1914):

„.....die übergroße Mehrzahl der Unternehmer ihre Betriebe gesperrt haben und nur ein ganz verschwindender Teil noch in der Lage ist, halbe Tage arbeiten zu lassen; selbst auch diese letzteren aber werden in einigen Tagen ebenfalls ihre Betriebe zum Stillstand bringen. Bedürfnisse in Wien nach Lederware sind nicht vorhanden und der Export ist vollständig brachgelegt.“

Die Not zwingt die bisher in den Luxusgewerben tätigen Fachkräfte, nach anderen Beschäftigungen zu suchen.

Der Bericht aus der Zeitschrift <EINIGKEIT> November 1915 veranschaulicht dies sehr gut:

„ In Wien existiert ein Wirtschaftsbund der Taschnermeister, der zu einem Unternehmen zirka 30 Werkstätten vereinigt, welche sich mit der Herstellung von Heeresausrüstungsgegenständen befassen.

Als im Vorjahre der Krieg ausbrach, waren die Taschnermeister sehr vernünftig und rissen durch die Gründung des Wirtschaftsbundes einen großen Teil der Herstellung von Satteln, Patronentaschen etc. an sich. In dieser für uns Wiener Ledergalanteriearbeiter so schweren Zeit war, wir gestehen es offen ein, so manche Taschnerwerkstätte für die Ledergalanteriearbeiter zu einer Zufluchtstätte geworden.“

Diese erste Vermischung von Grund verschiedenen Arbeitsweisen, hat nicht nur Vorteile gebracht. Die Arbeiten eines Sattlers und Taschners waren vorwiegend Gebrauchsartikel, welche in erste Linie solid und preisgünstig sein mussten.

Die abgewanderten Ledergalanteriearbeiter die sich an die eher derbe Verarbeitung gewöhnt haben, kehrten selten zu einer verfeinerten, sauber und exakten Handwerk des Ledergalanteriearbeiters zurück.

Trotz der Missstände, wie des geringen Lohns und der langen Arbeitszeit hält der Zulauf der Lehrlinge selbst noch Jahre nach dem überstandenen 1. Weltkrieg, unvermindert an.

Der starke Zulauf von Lehrlingen ist wohl dadurch zu erklären dass der Berufsstand Ledergalanterist einen guten Ruf hatte. Allein der Umstand vornehme, feine und besondere Werkstücke herzustellen zu können, wertete jeden, der diese Ledergalanteriewaren erzeugte, auf .

So eine Anfrage an die Redaktion des <Einigkeit> August 1925 „Dürfen Mädchen das Ledergalanteriegewerbe lernen?“Darauf die Antwort:

„Dieses Recht der Frau ist selbst in der Bundesverfassung festgelegt, wo es heißt, <Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetze gleich, es gibt keinerlei Vorrechte.> Wir müssen daher in unserer Zeit der Aufklärung mit vorbesagtem Vorurteil, sowie mit mancher anderen Ansicht aus der k. u. k. Zeit brechen, um zu zeigen, da es,wenn wir den Fortschritt fordern wollen, ihn auch selbst verstehen und befolgen müssen.

Doch sollen diese Zeiten keineswegs bewirken, daß jetzt zu den 700 bis 800 Lehrlingen noch eine Anzahl L e h r m ä d c h e n hinzukommen. Wir wollen eher hoffen, daß in absehbarer Zeit einigen Hundert Schulentlassenen es erspart bleiben wird, nach der Auslehre ihr Leben etwa als arbeitslose <Kunstgewerbler> und dann als Ziegelschupfer, Laufburschen usw. zu verbringen.“

Die Lehre als Ledergalanteriewarenerzeuger scheint trotzdem für den jungen Menschen im beginnenden 20. Jh. erstrebenswert.

Im Beruf schöpferisch tätig sein zu können und die Möglichkeit Gegenstände herzustellen die etwas Besonderes, Wertvolles darstellten war offensichtlich Anreiz genug.

In diesem Zusammenhang die Definition eines unbekannten Verfassers in <Einigkeit> Jänner 1927 über den Berufsstolz.

„Der Berufsstolz entsteht bei gewissen, auf einer höheren Stufe der Handfertigkeit stehenden Gewerben auf Grund handwerklicher Spitzenleistungen, die keinem Zwecke der Allgemeinheit dienen, sondern nur einer Schicht mehr begüterter, kunstgeschulter Menschen erschwinglich sind.

Daß die Spitzenleistungen die Voraussetzungen des Berufsstolzes sind, sehen wir an der Tatsache, daß in Gewerben, die infolge ihrer Eigenartigkeit keine Spitzenleistungen hervorbringen können, auch kein Berufsstolz existiert.

Die Differenzierung des Wirtschaftslebens bringt es mit sich, daß eine Branche zwei verschiedene Schichten von Arbeitern haben kann: Die einen sind die, denen es möglich ist, ihr Gewerbe als Kunsthandwerk ausüben zu können; die anderen sind die, die mit einer gewissen Geringschätzung von ihrer Arbeit sprechen, weil sie von ihrem künstlerischen Unwert überzeugt sind.“

Doch schon in dieser Zeit verzeichnet der Verfasser, das Schwinden des Berufsstolzes in unsere Branche, wenn er meint:

„Die Schichten, die Berufsstolz besitzen können, werden immer weniger. Die kleinen Handwerksmeister weichen der immer gewaltiger werdender Konzentration des Kapitals. Die Folge ist der Zerstörung des beruflichen Könnens durch die Mechanisierung der Arbeit.“